Inhalt der Website
Autor der Website:
Friedrich Forssman
Schloßteichstraße 3
34131 Kassel
mail@kassel-mulang.de
Dank und Nachweise
am Fuß der Seite.
* * *
»EXPLICATION
A der Weißestein | B Hochfürstl. Schloß | C Auberge | D Marställe | E Caserne |
F Stallung für Fremde |
G Hoffgärtner Wohnung |
H Schmiede und Wagnerey |
I Treibhaus |
K Perforçe Jagt. Häuser |
L Stallung für Jagd Hunde |
M Schoppen zum Geräth |
N Stallung für Wiese |
O Faßanerie |
P Gehöltze der Ceres |
Q Obst-Garte |
R Blumen Garte |
S Capelle |
T Türkische Muschee |
U Chinesische Bajotte |
V Theater |
W Tempel des Mars |
X Tombo des Virgils oder Totenhaus |
Y Insul des Calipso |
Z Eliseische Fellder |
a Laberintum |
b Tempel der Cerce |
c Eremitten Garte |
d Baumschule |
e Schneckenberg |
f Haus des Socrates |
g [Haus des] Heraclide |
h [Haus des] Democride |
i der Entenfang |
k Tempel des Mercurs |
l [Tempel des] Apollo |
m Carls Grotte mit Baßin |
n Baßin woraus die Fontaine springt |
o Fogelfang |
p Egiptische Piramide |
q Rosen Busquet |
r Allee nach Cassel |
s Fahrstraße zum Winterkasten |
t Wohnunge für Aufseher |
u Fisch Teiche |
v Schloß Verwalters Garte |
w Ober Piqouers Garte |
x Feld Land |
y Thir Garte |
z Badt der Diana |
zz Terrassen |
zzz Hauß des Orpheus«
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Das »Chinesische Dorf« Mou-lang
Inhalt dieses Kapitels
Siehe auch das Kapitel »Villenkolonie«,
dort vor allem das Unterkapitel »Mulangstraße«.
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Die Anfänge des chinoisen Dorfes Mou-lang: »PLAN vom Lustgarten zu WEISSENSTEIN« von »B.A. Stawasser«, entstanden nach 1781. Einstiger Besitzer der Karte war George III, König von Großbritannien. Transkription der Legende: siehe linke Spalte. Moschee (»T Türkische Muschee«) und Pagode (»U Chinesische Bajotte«) sind auf der Karte schon eingezeichnet, aber noch keine weiteren Mou-lang-Gebäude. Quelle: British Library (→) (auf den Namen klicken für die Fundstelle, für deren Mitteilung ich Yannick Philipp Schwarz danke).
Hier klicken (→) für ein (leider weder hochaufgelöstes noch gut zu handhabendes) Digitalisat einer Karte von 1776: »Plan des Hochfürstl. Landgräflichen Hessischen Lustschlosses ...« aus der Zeit vor Errichtung von Moschee und Pagode. / 2023 Architekturmuseum TU Berlin
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Das Symbol (→) zeigt an, daß sich beim Anklicken des Links ein neues Fenster öffnet. |
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Zusammenfassung |
1785: Tableau mit Darstellung des chinesischen Dorfs Mou-lang (Mulang) im Park von Wilhelmshöhe, Porzellan. (→) *22 In
Quellen des 18. Jahrhunderts wurde das Flüßchen mit dem korrekten chinesischen Wort für Fluß, Kiang benannt. Den breiteren Fluß im Vordergrund
nannte man noch aus vor-Mou-lang-Zeit »Styx«; er fiel 1790 der Umgestaltung des Areals und dem Bau des Lac zum Opfer, auf welch letzterem ein chinesischer Pavillon die
kleine Insel zierte. In der Mitte des Bildes der
»Speisesaal« zwischen den beiden heute noch erhaltenen Häuschen »Milchkammer« und »Küche«.
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In der Löwenburg befindet sich eine ölgemalte Bildtapete mit einer detaillierten Darstellung von Mou-lang. Hat jemand gute Fotos davon?
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Am südlichen Rande des Bergparks Kassel-Wilhelmshöhe, am übergang zur heutigen Villenkolonie Mulang, befindet sich auf dem Hang oberhalb des Schloßteiches ein Kleinod: das gut erhaltene chinoise Parkdorf Mou-lang. Erbaut wurde es ab 1781 von Landgraf Friedrich II, erneuert und weiterentwickelt von Wilhelm IX.
Die China-Begeisterung, von der Europa im 17. und 18. Jahrhundert ergriffen war, speiste sich nicht nur aus naivem Entzücken an ferner Exotik. Die Vorstellung eines friedlichen Riesenreiches, dessen zahlreiche Bevölkerung bis in einfache Schichten literarisch und philosophisch gebildet war, faszinierte die Europäer, denen der 30jährige Krieg auch Ende des 18. Jahrhunderts noch in den Knochen saß. Die Berichte von einem Kaiser, der einerseits göttergleich war und andererseits es nicht für zu niedrig erachtete, durch rituelles Pflügen die Erde einmal im Jahr fruchtbar zu machen – und der als Nachfolger bei Ermangelung eines geeigneten Sohnes einen Bauern zu bestimmen hatte, das beschäftigte die Phantasie.
Feinste kunsthandwerkliche Gebilde, die aus dem Reich der Mitte importiert wurden und Schilderungen von poetischen Landschaftsgärten samt zierlichen Gebäuden rundeten das Bild ab. So drang unter anderem auch eine Beschreibung eines niedlich verstreutes Zier-Dorfes in einem kaiserlichen Park nach Europa, in der man Mou-lang beschrieben zu hören meint.
2018: Erfreulicherweise hat die Museumslandschaft Hessen-Kassel (oder wie sie aktuell gerade heißt) viele der Mulang-Häuser renoviert. So lange freilich die historische Park-Chaussee als »Mulangstraße« den Durchgangsverkehr durch den Park, mitten über den ehemaligen Dorfplatz und vorbei an allen Häuschen sowie der »Pagode« führt, ist das einstige Idyll nur zu erahnen. Hoffentlich wird diesem Übel bald gesteuert, zumal die Mulangstraße auch das Kurgebiet verlärmt. |
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Der Beginn des Bergparks |
Aus Guernieros Kupferstichwerk »Delineatio Montis a metropoli Hasso-Cassellana«, 1705. Deutlich ist die Einbeziehung des gesamten (auf dieser Darstellung in der Breite stark zusammengezogenen) Rückens des Habichtswaldes in die heroisch-mythische Gesamtanlage. (→) *22
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Die grandiose Neuanlage des Bergparks von Schloß Weißenstein war unter Landgraf Karl (1670–1730) etwa gleichzeitig mit der Karlsaue, dem barocken Park nahe der Stadt Kassel an der Fulda, Anfang des 18. Jahrhunderts begonnen worden. Karl ließ vom Architekten Giovanni Guerniero auf dem fortan so genannten »Karlsberg« bei der heutigen Wilhelmshöhe eine riesenhafte Terrassenanlage nach dem Vorbild italienischer Renaissance- und Barockgärten aus der Umgebung Roms mit Grotten und Wasserspielen erbauen, gekrönt von einem achteckigen Gebäude, das schließlich in einer monumentalen Herkulesfigur gipfelte. Unterhalb der Anlage war ein barockes Schloß geplant, das das Renaissance-Schloß Weißenstein (erbaut ab 1606) des Landgrafen Moritz ersetzen sollte.
Doch erst Karls Urenkel, Landgraf Wilhelm IX, der spätere Kurfürst Wilhelm I, ließ das Schloß Weißenstein abtragen und ein neues errichten, unter Bezug auf die monumentale Karlsberg-Gestaltung. |
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Friedrich II |
Schloß Weißenstein
1776, Gemälde von Johann Heinrich Tischbein. Man sieht von Südwesten auf das Bowlinggreen. Der Lac entstand später am rechten Bildrand. Zu sehen sind allerhand Tempel und Triumphbögen. (→) *28
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Kew, 1761: Die Chambers-Pagode. (→) Auf das Bild klicken für die Website »kew.org« mit Informationen auf Englisch.
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Die chinesischen Pavillons im schwedischen Drottningholm, ebenfalls in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden. (→) *Jakub Halun
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Die Pagode in Oranienbaum, errichtet 1795–1797, mit
dem Teehaus und chinoisen Brücken Bestandteil des englisch-chinesischen
Gartens in Dessau-Wörlitz. (→) *Heinz Fräßdorf
Das Chinesische Teehaus in Oranienbaum. Postkarte aus den 1910er Jahren, die noch ostasiatische und japanische Einflüsse auf den Jugendstil spüren läßt.*MA
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Der Enkel Karls, Landgraf Friedrich II, liebte Parkbauten und -attraktionen. Eine hübsche Aufzählung seines Parkschmucks findet sich bei Heidelbach. Wenn man auf das folgende Bild klickt, öffnet sich ein Fenster mit der ganzen Liste, die durch den Wechsel von Fraktur und Antiqua noch vergnüglicher wird:
*16
1781 ließ Friedrich II mit dem Bau des »chinesischen Dorfes« bei Schloß Weißenstein beginnen. Südlich des Schlosses lag ein ideal geeignetes Gelände: ein Hang, Felsen, Wasser, Nähe zum Parkrand und somit an der Grenze zu Landwirtschafts-Flächen. Zunächst wurden hölzerne strohgedeckte Häuschen gebaut und mit Blech-Ornamenten geschmückt. Mit den Planungen wurde vor allem der Hofgärtner Daniel August Schwarzkopf betraut, der seine Position bekommen hatte, weil er seine Ausbildung in England vervollkomnet hatte, und der später von Landgraf Wilhelm IX übernommen wurde.
Von Anfang an wurden nicht nur Gebäude, sondern auch Gehölze in chinesischem Stil geplant, etwa mit Baumgruppen in Hell-Dunkel-Kontrasten oder als chinesisch geltenden Bäumen wie dem »Taschentuchbaum«. Vor allem Felsen und Wasser, die wichtigsten Elemente chinesischer Gartenkunst, sind hier vorhanden. In China assoziiert man mit ihnen das Weltprinzip von Yin und Yang, den beiden gegensätzlichen Kräften, die nach alter überlieferung sämtliche Abläufe der Natur bestimmen. Die harten, trockenen, nach oben strebenden Felsen symbolisieren die männliche Kraft Yang, das stille, weiche Wasser die weibliche Kraft Yin. Nicht nur die heute noch zahlreich erhaltenen Gebäude, sondern auch die sehr wichtigen Baumgruppen und zugewachsenen Felspartien warten dringend auf ihre Wiederherstellung.
Warum ein chinesisches Dorf?
Kenntnis von China gelangte nach Marco Polos Pionierfahrt über Kaufleute und Gesandte, vor allem aber seit Mitte des 17. Jahrhunderts über jesuitische Missionare nach Europa. Seit dem 16. Jahrhundert gab es eine ausgesprochene Verehrung der chinesischen Hoch- und Alltagskultur: der Philosophie, der Staatskunst, der bildenden Künste (auch der Gartenkunst) und der Gebrauchsgegenstände (Seide, Lackarbeiten, Porzellan). Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es auch eine Gegenbewegung, die die bedingungslose Chinaverehrung in Zweifel zog und verspottete. Aber noch ins 19. Jahrhundert hinein galt das konfuzianische Staatswesen als schlechthin vorbildlich. Bräuche wie das einmal jährlich stattfindene rituelle Pflügen durch den Kaiser oder die Überlieferung (bzw. Legende), bei Ermangelung eines geeigneten leiblichen Nachfolgers habe der Kaiser einen Bauern (die einem gebildeten und geachteten Stand angehörten) vom Pflug weg als Thronfolger bestimmt, sind für die Wahrnehmung des mit Bauern bevölkerten Dorfes Mou-lang von Bedeutung. Solche Hinweise auf die Bedeutung des Bauernstandes im alten China waren im Europa des 18. Jahrhunderts längst bekannt; speziell der pflügende Kaiser wurde seit dem späten 17. Jahrhundert in Wort und Bild oft zitiert.*15
Zur Gartenkunst: Der Brite William Chambers hatte lange als Kaufmann in China geweilt. 1757, nach seiner Rückkehr nach England, verfaßte er ein Buch über ostasiatische Baukunst, 1763 eines über den von ihm in Kew angelegten Park mit Kupferstichen der dortigen orientalischen Bauten: Pagode, Moschee, Alhambra. 1772 schrieb er ein Buch über chinesische Gärten, in dem er den Bau chinesischer Parkbauten anregte. (Chambers’ Werke gehören auch zum historischen Bestand der Schloßbibliothek Wilhelmshöhe.) Dadurch löste er eine europaweite »Chinoiserie«-Mode aus. Es hatte aber, im Gefolge der oben geschilderten China-Verehrung, schon im 17. Jahrhundert chinesische Park-Architektur gegeben. Chambers war nur bis Kanton gekommen, hatte aber alle verfügbaren Reiseberichte gelesen und für seine Bücher ausgenutzt, um seinen Ruf als Koryphäe zu stärken. So kannte Chambers den Brief des Jesuiten Attiret über die kaiserlichen Gärten, wo es eine Miniaturstadt gab und ein ländliches Gegenstück:
»ein eingefriedeter Teil mit äckern, die wirklich bearbeitet wurden, Wiesen und Weiden mit grasenden Herden, Bauernhäuser und kleine verstreute Hütten.«*20 Man meint, eine Beschreibung des Dörfchens Mou-lang zu lesen, dessen ökonomischem Nutzen gerade die idyllische Verstreutheit der Häuschen zum Verhängnis wurde. Als locker komponiertes Dörfchen mit authentischen Bezügen zu China ist Mou-lang einzigartig. Man darf es also nicht ohne weiteres mit nicht-chinoisen »Ornamented Farms« oder anderen bukolischen Park-Dörfern in einen Topf werfen – obwohl es, wie weiter unten geschildert, diese harmlosere Seite durchaus auch hatte; Mou-lang changiert zwischen philosophischer Mustersiedlung und Luxus-Spielzeug.
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Wilhelm IX |
1786. Zeichnung von Johann Heinrich Müntz (Ausschnitt). Das Schloß Weißenstein steht gerade noch; links ist deutlich die Moschee zu erkennen. Ansicht von Osten. Auf der Rückseite steht auf französisch: »Man sieht hier viele Arbeiter damit beschäftigt, den Südflügel des Palastes niederzureißen und an seinem Fuß ein tiefes Becken für einen großen Teich auszuheben.« (→) *22
1790: Blick über den Schloßteich,
den »Lac«, nach Westen. Im Hintergrund das 1710 begonnene
Oktogon mit der Herkulesfigur, rechts das Schloß Wilhelmshöhe,
erbaut ab 1786. Links, direkt neben den Fichten, sieht man die Moschee.
Unfern von ihr entstand die »chinesische Kolonie« Mou-lang,
die man auf dem Bild nicht sieht, die aber älter ist als das
abgebildete Schloß Wilhelmshöhe (noch im Idealzustand:
drei einzelne Baukörper, der mittlere mit Kuppel).
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Am 31.Oktober 1785 starb Friedrich II: »Beim
Mittagsmahl auf Schloß Weißenstein beugte sich der Landgraf
plötzlich vor, drückte die Serviette gegen den Mund und
gab seinen Geist auf.«*3 Zu diesem Zeitpunkt ist das Dorf Mou-lang etwa in dem Zustand, den
das weiter oben gezeigte Porzellantablett zeigt.
Nach 1786 ließ Landgraf Wilhelm IX das Renaissance-Schloß
Weißenstein abbrechen und nach Entwürfen von Simon Louis
du Ry den ersten Flügel des heutigen Schlosses Wilhelmshöhe
errichten: Auf dem parkseitigen Portikus steht heute in großen
goldenen Lettern »WILHELMVS · I ·
EL · CONDIDIT« (Wilhelmus primus elector condidit,
Wilhelm der Erste, Kurfürst, hat es erbaut; vor Erlangung der
Kurwürde stand dort WILHELMVS · IX ·
CONDIDIT; der talseitige Portikus trägt die Aufschrift »WILHELMSHOEHE«,
die während der »Franzosenzeit« in »NAPOLEONSHOEHE«
geändert worden war – die Bohrlöcher der Änderungen sind noch sichtbar). »Schon
Ende Dezember 1791 waren, wohl auf eine Anregung des Fürsten
hin, [...]
Vorschläge zur Benennung des neuen Schlosses gemacht worden;
es finden sich da die Namen: Wilhelmswert, Wilhelmswonne, Mont-unique,
Mes délices, Wilhelms Berglust, Ehrenburg, Freudenstein,
Höhenpracht [...] Wilhelmshayn,
Wilhelmsfeste, Wilhelmssorge [...] Wilhelmsstuhl.«*16
Den meisten architektonischen Parkzierat, den sein Vater
so geliebt hatte, ließ Wilhelm IX zu Beginn seiner
Regentschaft beseitigen. Er hatte kühne Pläne zur Umgestaltung
des Parks – und sollte ein würdiger Vollender der Planungen seines
Urgroßvaters Karl werden. Das Parkdorf Mou-lang ließ
Wilhelm IX aber stehen und baute es sogar weiter aus – was
wohl auch am Hofgärtner Schwarzkopf gelegen haben dürfte,
der ein Liebhaber Mou-langs war. Wilhelm modernisierte die Häuschen Ende des 18. Jahrhunderts,
indem er die früheren Holzhäuser durch Steinbauten
ersetzen ließ; beim Neubau wurde viele Ornamente weggelassen,
aber geschwungene Giebel und Dachlaternen sorgten für ein nach
wie vor chinesisches Bild. Auch die Landschaft um das Dorf wurde
sehr stark umgestaltet: In der Nähe Mou-langs wurde der Schloßteich
angelegt und die ein oder zwei chinesischen Flüßchen
samt Holzbrücken entfernt.
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Der Name Mou-lang |
Um 1910: »Weg vom Mulang zur Fontäne«.*MA
* * *
Zwischen dem ehemaligen Standort des chinesischen Speisesaals und dem Lac liegt ein »Gelehrtenstein (→)«, der zweifellos in der Gründungszeit des »chinesischen Dorfes« auf einem Sockel oder in einem Kiesbett präsentiert wurde. Passenderweise hat ein Gelehrter mich auf einem Spaziergang auf das besondere Stück aufmerksam gemacht. Irgendwie hat der »Suiseki« 250 Jahre ausgeharrt – und dient nun, gewiß in Verkennung seiner Bedeutung, als Kanaldeckelbeschwerer.
Der Gelehrtenstein von Westen gesehen, links der Lac ...
... von Osten ...
... und von oben.*MA
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Der Name, den das künstliche Dorf 1791 bekam, ist nach häufig geäußerter
Meinung eine halb exotisierende, halb mundartliche Umformung des
französischen Wortes für Mühle, Moulin.*16
Für die Theorie einer Verballhornung des französischen
Wortes durch die Kasseler Mundart scheint auch zu sprechen, daß
1930 in Kassel eine große Karnevalsfeier »Mulang-Ruusch-Fest« genannt
wurde, das Festmotiv also »Moulin rouge« war.*10
Andererseits hat Wilhelm IX, der spätere Kurfürst Wilhelm
I, schon im Jahre 1791 den Namen »Mou-lang« für
das Dorf offiziell festgesetzt, was eindeutig gegen die Mundart-Theorie
spricht. Das Gebiet, in dem der Kaiser von China im Herbst Jagden
abhielt, wurde »Mulan« genannt, nach dem Mandschu-Wort
»muran«, der das Röhren eines Hirsches nachahmt;
Kunde von diesen Zeremonialjagden gelangte auch nach Europa.*20
Dies ist die wahrscheinlichere
Deutung
– zumal auch der »Kiang«, der Dorf-»Fluß« (auf dem oben abgebildeten Porzellan-Tablett gut zu sehen)
schon in zeitgenössischen Quellen mit diesem korrekten chinesischen
Wort für Fluß bezeichnet ist, so etwa bei der Beauftragung einer Holzbrücke über denselben.
Prof. Hardy Fischer ergänzt diese
Hinweise auf authentische China-Bezüge unter Zitaten aus Kausch:*25 »[...] nordöstlich [...] liegt eingebettet in eine herrliche Berglandschaft die ehemalige
kaiserliche Sommerresidenz [...]. Während die Stadt selbst,
die heute etwa 200.000 Einwohner hat, nicht weiter sehenswert ist,
zählt der alte Residenzpark mit seinen Palastanlagen, Pavillons
und Pagoden [...] zum schönsten, was (Kassel ...?) zu bieten hat.«
Kassel und der Park Wilhelmshöhe könnten
gemeint sein. Aber es ist die Rede von der Stadt Chengde, 250 km nordöstlich von Beijing, und der dort gelegenen ehemaligen
Sommerresidenz der chinesischen Kaiser, dem »schönsten,
was China architektonisch zu bieten hat«. Die Sommerresidenz
in Chengde ist heute UNESCO-Welterbe.
Weiter im gleichen Text: »Mindestens einmal im
Jahr begaben [die chinesischen Kaiser] sich ins Land der Väter
[die Mandschurei], um dort dem heißen Beijinger Sommer zu
entfliehen und in den wildreichen Wäldern des Nordens zu jagen.
Eines Tages, im Jahr 1702, stieß der Kangxi-Kaiser auf dem
Weg nach Mulan [das nördliche Jagdgebiet] auf ein liebliches
Tal, in dem eine heiße Quelle entsprang, die sich in den nahen
Wulie-Fluß ergoß. [...] Der Monarch pries das Tal als
einen Ort, ›wo die Eleganz des südlichen China mit der
Erhabenheit des Nordens einhergeht‹, und ließ dort die
kaiserliche Sommerfrische errichten. Im Gründungsdekret erklärte
der Kaiser, die Anlage solle eine versöhnliche Geste gegenüber
den ethnischen Gruppen darstellen, einen Platz zum Training von
militärischem Geschick und einen Ort, um wichtige Gäste
zu empfangen« [...]. Es ist »die größte kaiserliche
Parkanlage in China (560 ha) und etwa doppelt so groß wie
der Beijinger Sommerpalast [und damit doppelt so groß wie der Bergpark
Wilhelmshöhe, dessen Kernzone 240 ha umfaßt]. Ihr offizieller Name [...] lautet: Bergschloß, in dem man der Sommerhitze entflieht
(Bishu Shanzhuang).«
Die buddhistischen sogenannten Acht äußeren
Tempel umgeben den Park der Sommerresidenz von Chengde in einem
Halbkreis. »Jeder einzelne repräsentiert eine bestimmte
Region des chinesischen Reiches und unterstreicht die politische
Verbundenheit einer ethnischen Minderheit mit dem mandschurischen
Kaiserhaus. So ist es kein Zufall, daß die Eingänge der
Tempelanlagen in Richtung der kaiserlichen Residenz weisen und somit
symbolisch der weltlichen Macht des Himmelssohnes unterordnen.«
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»Exotische« Menschen in Mou-lang |
Johann Heinrich d.Ä. Tischbein (1722–1789): Ansicht des Schlosses Weißenstein von Norden, 1786. Links der Weißensteinflügel
des damals ganz neuen Schlosses, in der Mitte Mou-lang. (→) *22
Detail aus der vorigen Abbildung.
Auf diesem Plan vom »Dorff Moulang« aus dem Jahr
1793 erkennt man sehr gut den Dorfcharakter (oben: Westen).*7
Andreas Range (1762–1835): Prospekt des fürstlichen Schlosses auf dem Weissenstein von Westen, 1791. (→) *22
Detail aus der vorigen Abbildung. Zu sehen sind von links nach rechts: Kuhstall (5), Speisesaal mit 5 chinoisen Fenstern (SP),
Milchhaus (M), Windmühle (W), Pagode (P),
ein kleines Chausseehaus (9?) und die Pagode (P). (Die
Bezeichnungen in Klammern verweisen auf den unten abgebildeten
Mou-lang-Plan von Maren Brechmacher-Ihnen.)
* * *
Christian Presche schreibt mir folgende wertvolle Hinweise, darunter auch einer auf das »Mohren hauß«:
Ein Lageplan im Staatsarchiv Marburg (Best. Karten, Nr. P II 20497 (→)) zeigt übrigens die Nutzungen der Mulang-Gebäude 1785; so finden wir:
– »Genesisher Tempell«: Pagode; erhalten
– »Küche«: erhalten
– der Salon/Speisesaal fehlt noch; nicht erhalten
– »MilchCammer«: erhalten
– »Schafstall«; nicht erhalten
– »Scheure«: Scheune; stark verändert, Mulangstraße 7
– »Kühstall«: Kuhstall; umgebaut und aufgestockt, Mulangstraße 5
– »Schweitzer Wohnung«: spätere Bagatelle, Mulangstraße 2
– »Mohren hauß«: der heute kaum mehr erkennbare kleine Kernbau von Mulangstraße 3 (vgl. in Eisenträgers Ansicht (→) das rötlich-gelb/blaue Häuschen mit goldenem Dach). Darin ursprünglich zwei seitliche Räume, in der Mitte Eingangsflur und vermutlich (zur Rückseite) eine Küche. In diesem Häuschen können damals ausschließlich Betty Johnson und Hanne gelebt haben, keine weiteren Bediensteten; ob auch Catharina, ist mir unklar.
Bis Ende 1787/Anfang 1788 (Lageplan von Jussow (→); vgl. Ausst.-Kat. Jussow 1999, Kat.-Nr. 52) kamen dann noch hinzu:
– jener Saal zwischen Küche und Milchkammer (vgl. in Eisenträgers Ansicht); nicht erhalten
– ein Häuschen zwischen Mulangstraße 3 und Mulangstraße 5, das wenig später als Hirtenhaus nachweisbar ist (während das »Mohrenhaus« zur Saalwächterwohnung wird);
– außerdem wurde Mulangstraße 4 noch in chinoisem Stil als Haus des Windmüllers errichtet.
Zum Zustand nach den Veränderungen um 1791/92 vgl. hier (→) und hier (→).
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Im chinesischen Dorf
wurden unter Friedrich II drei schwarze Frauen angestellt – und dabei auf spätestens heute absurd wirkende Weise ausgestellt: »Die Funktion
dieses Dorfes [...] war zunächst die eines Ortes für herrschaftliche Vergnügungen
wie ›Schäferspiele‹. Einen kleinen Fluß mit
Brücke, einen See mit kleinen Booten, Wiesen mit weidenden
Herden, Wälder mit Hirschen, Haine mit Fasanen sowie Pfauen
konnte das Gelände bieten. Es war die ideale Szenerie für
eine ›Ornamented Farm‹. Die Hirten hatten, wenn die Gäste
zu bedienen waren, chinesische Kleidung zu tragen und die schwarzen
Diener Fantasie-Kleidung.«*18
Über die Lebensumstände im künstlichen Dorf
Mou-lang gibt ein Aufsatz von Wolfram Schäfer Auskunft.*5
Schäfer bestreitet dort, daß Samuel Thomas Soemmerings Schrift
»Ueber die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom
Europäer«, Mainz 1794, nach einer Sektion von Schwarzen
aus dem Dorf Mou-lang entstanden sei (dies behaupten Heidelbach*16 und Steinhauer*23).
Im Folgenden einige Auszüge aus dem Text:
Ohne sich
in größeren Spekulationen ergehen zu müssen, dürfte
der von Holtmeyer hergestellte Zusammenhang zwischen der bezweckten
Exotik des chinesischen Dorfes und den tatsächlich dort feststellbaren
schwarzen Bewohnerinnen zutreffen. Die Anlage hatte allerdings neben
der exotisch-ästhetischen auch eine ökonomische Bedeutung,
umfaßte sie doch einen landwirtschaftlichen Betrieb. Dieser
auch als Weißensteiner »laiterie« oder »Weißensteiner
Economie« bezeichnete Hof lieferte Milch, Butter und Käse
für die Hoftafel. Im Rahmen dieser Produktion arbeiteten zeitweilig
auch einige »Mohrinnen«, deren Existenz im chinesischen
Dorf, wo sie auch wohnten, offensichtlich zu einer »Mohrenkolonie«
hochstilisiert wurde [nämlich von Biographen Soemmerings, etwa Rudolf Wagner 1844].
Belegt ist der Einsatz von insgesamt drei Frauen (!!),
von denen zwei seit 1784 für jeweils mehrere Monate dort tätig
waren. Ihre Namen lauteten Betty(e) Johnson und Hanne. Die »Mohrin«
Hanne wird zusammen mit ihren Kindern erstmals unter den Rubriken
»außerordentliche Ausgaben« (29.II.1783) und »Ausgabe
Pension« der Leibkompanie geführt, was auf die Verbindung
zu einem dort dienenden »Mohren-Tambour« aus dem Leibgarderegiment
schließen läßt. Im Dezember des gleichen Jahres
wurden dann den »Mohrinnen« Hanne und Betty Johnson
aus der landgräflichen Schatulle je 3 Rthlr. ausgezahlt.
Diese »Mohrinnen« arbeiteten in den ersten
(Jan. bis April) und letzten Monaten des Jahres (ab Okt.) auf der
Weißensteiner Oekonomie, wofür sie ein monatliches Salär
von 3 Reichstalern erhielten. Von Mai bis August hatten sie dort
offensichtlich weniger zu tun, denn in dieser Zeit erhielten sie
jeweils monatlich nur 2 Reichstaler »Sommer Pension«.
ähnlich verhielt es sich im Jahr 1785. Unter den
Besoldungsempfängern der »Weißensteiner Oekonomie«
befinden sich ganzjährig die beiden schon genannten »Mohrinnen«,
im März kam als dritte Catharina hinzu, die als Tagelöhnerin
»bey der Wind Mühle« arbeitete, die 1784/85 erbaut
worden war. Die Frauen erhielten weiterhin monatlich 3 Reichstaler
an Besoldung. Catharina lebte übrigens nur wenige Wochen im
chinesischen Dorf, in der Besoldungsliste für den Monat Mai
ist sie nicht mehr enthalten, da sie zwischenzeitlich verstorben
war.
Insgesamt wurde die Weißensteiner Oekonomie mit
einem relativ geringen Personalaufwand betrieben. 1784 arbeiteten
dort neben den schon genannten »Mohrinnen« 2 Kuhhirten,
1 Milch-Magd, 1 Eselsknecht und ein Schäfer, der auch als Ziegenhirte
eingesetzt war. Im Jahr darauf hatte sich die Zusammensetzung der
Beschäftigten des kleinen Landwirtschaftsbetriebs nur geringfügig
geändert. Nunmehr waren dort eine Madame Galigary, die beiden
Melker Würsten und Mertzen, der Oberknecht Bode, der Windmüller
Brand und der Schäfer/Ziegenhirte Battefeld tätig. Dazu kamen, wie schon genannt, die »Mohrinnen« Betty Johnson und Hanne, sowie für wenige Wochen Catharina. Die »Mohrinnen«
im chinesischen Dorf erhielten zu den baren Geldbeträgen noch
Kleider, Schuhe, Wäsche und Bettzeug. In allen Auszahlungsanweisungen und Rechnungs-Belegen ist immer nur von »Mohrinnen« oder »Mohrenweibern« die Rede. Nur einmal taucht noch ein Kind auf, wobei es sich vermutlich um ein Kind der »Mohrin« Hanne handelte.
Muß also angesichts dieser Tatsachen angenommen werden, daß tatsächlich nur »Mohrinnen« im chinesischen Dorf beschäftigt waren, so kommen die Gebäude auch als reine Wohnstätten von anderwärts beschäftigten »Mohren« nicht in Betracht. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte sich zumindest in Zusammenhang mit den zahlreichen Ausgaben für Einrichtungsgegenstände der im chinesichen Dorf befindlichen Gebäude ein Hinweis finden müssen. Aber auch in dieser Hinsicht ist einzig und allein von Frauen die Rede.
In einem Ausgabevermerk vom 1. Februar 1785, bei dem es um die Summe von 8 Rhtlr. 21 Alb. 4 Hlr. ging, heißt es in diesem Zusammenhang unmißverständlich:
»Dem Schreiner Grunauer für Bettstellen, Tische etc. für die Mohrinnen beym Chines. Dorff«.
Wie lange diese
»Mohrenkolonie«, von der nach den bisherigen Ausführungen
weiterhin zu sprechen sich eigentlich verbietet, existierte, läßt
sich nicht mehr genau bestimmen. Die Beschäftigung von »Mohrinnen«
düfte aber nach dem Tode Friedrichs II. im Oktober 1785 nicht
mehr allzu lange fortbestanden haben. Das chinesische Dorf wurde
zwar noch von seinem Nachfolger bis 1791 weiter ausgebaut, allerdings
traten dabei mehr und mehr die ästhetischen hinter die wirtschaftlichen
Gesichtspunkte zurück. Da die Anlage in Bezug auf Vieh- und
Milchwirtschaft auch nicht rentabel arbeitete, wurde das »verfehlte
Unternehmen« schließlich aufgegeben und 1797 verpachtet. [...]
Die »Mohren«
und ihre Nachkommen scheinen in der Tat gewisse klimatische und
ernährungsbedingte Anpassungsprobleme gehabt zu haben und gegenüber
bestimmten Krankheiten besonders anfällig gewesen zu sein.
In diesem Zusammenhang fällt auch deren geringe Lebenserwartung
und hohe Kindersterblichkeit auf. Neben diesen durchaus nachvollziehbaren
Ursachen für die häufigen Erkrankungen und den frühen
Tod etlicher Kasseler »Mohren« und »Mohrinnen«
haben möglicherweise auch seelische Gründe eine Rolle
gespielt. Verschiedene Anzeichen sprechen dafür, daß
trotz der weitgehenden sozialen Absicherung, die sie genossen, einige
von ihnen in der Fremde litten und sie sich in der neuen Heimat
keineswegs wohl fühlten. [...]
Wir müssen
uns in dieser Hinsicht vergegenwärtigen, daß die »Mohren«
sich teilweise wie die Tiere eines Zoos gefühlt haben müssen.
Nicht nur, daß einige »Mohrinnen« mit ihren Kindern
die Exotik des chinesischen Dorfes beleben mußten, auch alle
anderen schwarzen Bewohner Kassels waren mehr oder weniger zu Anschauungs-
und Studienobjekten geworden.
Wolfram Schäfer: »Von ›Kammermohren‹, ›Mohren‹-Tambouren
und ›Ost-Indianern‹«, in: Hessische Blätter für
Volks- und Kulturforschung, Band 23, »Fremdsein«
Den Zitattext in diesem Teilkapitel habe ich am 24.07.2020 ergänzt. Die zahlreichen Fußnoten habe ich weggelassen; sie belegen Schäfers Darlegungen. – Aus heutiger Sicht ist die »Verwendung« von Menschen zu Exotismus-Zwecken selbstverständlich abwegig. Immerhin waren die Entlohnung und der (geringe) Freiheitsgrad der drei schwarzen Frauen dieselben wie diejenigen der kasselstämmigen Mulang-Bewohner, die Schäfer nennt.
* * *
Sklaverei war in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung durchaus verpönt: Die hessischen
Soldaten, die durch die Subsidienverträge vor allem
unter Landgraf Friedrich II, dem Mou-lang-Gründer, zu
Kämpfen nach Nordamerika vermietet wurden, »[hatten] einen moralischen Rückhalt
in der Tatsache, daß die Feinde, die Führer der Verfechter
scheinbarer Freiheit, die Väter der amerikanischen Union, fast
durchweg Sklavenhalter waren.«*12 – Freiwillig zogen dennoch die wenigsten in den amerikanischen Krieg. Auch der Schriftsteller Johann Gottfried Seume geriet in die Fänge der Kasseler Subsidien-Häscher und wurde nach Nordamerika verschifft. Seine biographische Skizze »Mein Leben« (hier ein Link (→) auf die Reclam-UB-Ausgabe) ist unter diesem und jedem anderen Aspekt höchst lesenswert.
* * *
3.8.2020: Kaum habe ich den Hinweis auf Seume auf diese Website gestellt, schon sendet Dr. Christian Presche folgende präzisierenden Ausführungen:
»Zu Seume vgl. übrigens hier (→), Punkt 7, S. 22 und 23.
Gewaltsame Werbung war in Hessen sogar ausdrücklich verboten; gewaltsam Geworbene sollten sofort wieder freigelassen, ihre bisherigen Verpflegungskosten dem Offizier in Rechnung gestellt werden. (HLO VI, S. 55ff., Reglement vom 16. Dez. 1762 (→)) Allerdings bot das Militär gerade auf dem Land den nachgeborenen Bauern- und Handwerkersöhnen, den Kindern von Tagelöhnern etc. eine Einkommensmöglichkeit und löste damit zugleich ein latentes soziales Problem. Im Fall des Amerika-Einsatzes warb man auch Ausländer (wie Seume) an, und weitere Nachrekrutieren erfolgten dann direkt vor Ort.
Die Historiker Hans Philippi und Fritz Wolff schreiben 1979: ›Nicht nur die hessische Landstände billigten diesen Vertrag, sondern er wurde in weiten Kreisen der Öffentlichkeit als etwas Selbstverständliches hingenommen. Erst im Laufe des Krieges hat die Propaganda der Feinde Englands, Franzosen und Amerikaner, diesen Soldatenverkauf angeprangert und die Truppen zur Desertion aufgefordert. Das 19. Jahrhundert hat sich des Soldatenhandels als eines willkommenen Agitationsmittels gegen die Mißbräuche des absoluten Fürstenstaats bedienen können. Daß für die Offiziere und einen Teil der Soldaten der Einsatz in dem fernen Lande (Kat. Nr. 47) und die zu bestehenden Abenteuer einen eigentümlichen Reiz gegenüber der Monotonie des Kasernenbetriebs und des heimatlichen Dorflebens ausübte, steht ebenso außer Zweifel wie die Tatsache, daß viele hessische Bauernsöhne durch einen Sold in einer Höhe, die ihnen sonst im Leben nie mehr geboten wurde, angelockt waren. Werbegelder und Löhnung brachten über Nacht vielen Familien eine unvorhergesehene wirtschaftliche Erleichterung. Ebenso freilich steht fest, daß ein anderer Teil der Soldaten mit dem ihnen zuteil gewordenen Los unzufrieden waren.
Die hessischen Finanzen gesundeten durch den Geldeinstrom, die Ausrüstung von 17 000 Mann auf fremde Kosten brachte Geld unter die Bevölkerung und ermunterte die Gewerbe. Wenn die ordentlichen Einkünfte der hessischen Kammer Mitte des 18. Jahrhunderts jährlich an eine halbe Million Taler heranreichte, durfte der Einschuß von 19 Millionen Talern in den Jahren 1776–1784 als ungeheuer bezeichnet werden. 8 Millionen wurden als Werbegelder und Löhnung direkt in der Bevölkerung umverteilt. 11 Millionen bildeten einen Reingewinn für die hessische Kriegskasse, die sich in eine so günstige Lage versetzt sah, daßdie Kontribution genannte Kriegssteuer, die vor allem auf dem Landvolk lastete, um die Hälfte erlassen werden konnte.
Die mit beträchtlichen Opfern im Frieden unterhaltene Armee erwies sich durch die Gunst der Stunde als ein Segen für Land und Leute.‹
(Ausst.-Kat. Aufklärung und Klassizismus in Hessen-Kassel unter Landgraf Friedrich II. 1760–1785, S. 21.)
Nicht uninteressant ist dabei, dass der spätere Kritiker Frankreich selbst sich bereits 1775 um einen Subsidienvertrag mit Hessen bemüht hatte, dann aber nicht zum Zuge kam (sicherlich nicht zuletzt angesichts der engen Verbindungen Hessens zur britischen Krone). (Link (→))«
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Eine aktuelle Karte von Mou-lang |
Karte des »Chinesischen Dorfes« Mou-lang von Maren
Brechmacher-Ihnen, 2003.
Zeichnung: Martina Umathum.
Lageplan, um 1810. Der besseren Vergleichbarkeit wegen gedreht: oben ist Süden. (→) *22
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Auf der Karte von Mou-lang,
gezeichnet von Maren Brechmacher-Ihnen nach Recherchen von ihr und
Siegfried Hoß, ist die Mulangstraße als Parkchaussee
deutlich zu sehen, an der die meisten Gebäude locker aufgereiht
sind. Es gibt aber auch einen Ortskern zwischen Bagatelle und Kuhställen:
bei der Einmündung der heutigen Kurhausstraße.
Die Mulangstraße
ist heute auf den ersten Blick eine normale Fahrstraße, auf der Parkseite durch Hecken abgetrennt und von parkenden Autos gesäumt. Der
Zusammenhang des Dörfchens Mou-lang ist dadurch kaum mehr
zu erkennen. Aber die UNESCO-Kommission überprüft bekanntlich alle zwei Jahre im sogenannten »Monitoring«, ob Verbesserungen an bestehenden Welterbestätten vorgenommen wurden, und da böte sich die Schließung der Mulangstraße für den Autoverkehr an.
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Baugeschichte |
Die
folgenden fünf Bilder zeigen Handzeichnungen aus der Schloßbibliothek
Wilhelmshöhe und stammen aus »W. Strieder’s Wilhelmshöhe«.*9
Die Moschee (MO). Handzeichnung. Die beiden flankierenden Minarets
fehlen auf der Zeichnung. Die Moschee stand in der Nähe des
Dörfchens Mou-lang, gehört aber weder thematisch noch räumlich
zum Dorf, das man nicht nur als belanglosen Exotismus sehen darf,
sondern das eine ästhetische und philosophische Aussage darstellt.
– »Um 1820 ist das Bauwerk verschwunden. Clemens Brentano
erwähnt die Wilhelmshöher Moschee in seinem ›Godwi‹.
Es heißt dort: ›Ich ging
ruhig den Pfad gegen die Moschee herauf. Chinesische Brücken
trugen mich über tosende Katarakte‹ [...] ›Ich
hänge mitten darin, auf das schwache Geländer gestützt‹ [...] ›Die
Moschee, der Turban der Dame, ihr Schleier versetzten mich in die
Feerey des Auslandes.‹«.*7
Hier
klicken (→) für den kompletten Text des »Godwi« im »Projekt
Gutenberg«.
Hier klicken (→) für ein PDF mit einem trefflichen zweiseitigen Text zur Moschee von Gerd Fenner.
Simulation der Moschee vom Autor dieser Website.*MA
* * *
Entwurf für den Salon mit Nebengebäuden, um 1783 (SP). Für diesen Speisesaal waren laut Paetow im Jahre 1785 Möbel
geliefert worden. (→) *22
Der Speisesaal. Radierung, Wiederhold, ca. 1800.*MA
Der Speisesaal als Verbindungsbau.*29 – Jérôme, Napoleon Bonapartes Bruder, hatte den Mou-lang-Speisesaal abtragen und als Verbindungsflügel
zwischen dem von ihm (bzw. von Leo von Klenze) erbauten Theater (dem Vorläuferbau des heutigen
Ballhauses) und dem Kirchenflügel des Schlosses einsetzen lassen.
Der »heimkehrende, verbitterte Fürst Wilhelm I«,
der »die Spuren der Fremdherrschaft beseitigen wollte«,
habe diesen Glas- und Spiegelbau nach einer Stelle nordwestlich der
Pagode versetzen lassen, wo er bis 1851 gestanden habe, heißt
es bei Paetow.*6
* * *
Chinesisches Haus in Mou-lang. Entwurf von 1790, Handzeichnung.*7
Chinesisches Haus in Mou-lang. Entwurf von 1790, Handzeichnung.*7
Werkzeichnung zur Windmühle, Grundriß, Teilaufriß und Längsschnitt. (→) *22
* * *
Bagatelle, Entwurf zu einem Bett mit Baldachin, Vorder- und Seitenansicht. (→ )*22
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Zur Baugeschichte von Mou-lang finden sich in »W. Strieder’s Wilhelmshöhe«
zahlreiche zeitgenössische Hinweise. Hier Auszüge (Ergänzungen
und Bezeichnungen von Bauwerken gemäß dem Brechmacher-Ihnen-Plan
stehen in eckigen Klammern):
»[1789] Kommt man den
Berg hinunter [zum oberen Ende der heutigen Mulangstraße],
so erblickt man gerade vor sich eine schöne Gegend, welche
fast nirgends sichtbar wird; gerade vor und auch neben sich hat
man die Häuser, rechter Hand stehet eine Windmühle
[W] und linker Hand eine kleine Pagode
[P], welche ein Wäldchen von
Lerchenbäumen von dem übrigen Theile von Mou-lang absondert.
Ebenfalls linker Hand in das Thal hinunter, das der Fluß durchströmt,
sieht man die Insel, gegenüber der Anhöhe den südlichen
Schloßflügel ganz kühn stehen. Weiterhin rechter
Hand kommt man bey Stallungen, in welchen Schweizerkühe gehalten
werden und bey kleine Wohnhäuser für die dazu gehörige
Leute: linker Hand wiederum etwas niedriger bei eine Küche
[K], einen Sallon [SP] und
eine Milchkammer [MK]: dichte
am Wege noch linker Hand bei ein niedliches Haus, Bagatelle genannt
[2], vor dem eine Voliere und neben
bey eine Taubenflucht stehet. So, wie man hier den Berg hinab paßirt,
siehet man gerade aus in den Lac und mehr in der Entfernung das
Dorf Kirch-Dittmold mit seiner voranragenden neuerbauten Kirche.
Eben auch hier, wo rechts und links 2 große Felsenmassen liegen,
vereinigt sich diese Chaußée wiederum mit der zweyten
südlichen Chaußée [der späteren Rasenallee
und heutigen Kurhausstraße].
Paßirt man den Weg von Osten nach Westen [geht man
also wieder zurück], so hat man
rechter Hand allwo die Chaußée gegen Norden sich wendet
[hinter dem heutigen beliebten »Wunschtörchen«],
eine im nachfolgenden Jahre angelegte Phasanerie von Gold- und Silberphasanen
nebst der Wohnung für den Phasanenwärter und den zur Phasanerie
erforderlichen Gebäuden [heute nur noch als Ruine vorhanden,
Bilder weiter unten] vor sich im Gesichte,
welches hier die Gegend ungemein belebt, indem besonders die weißen
und Silbersorten Phasanen auf dem Raßen sehr gut kontrastiren. [...]
Vom 20ten November bis
29. Januar 1791 hat man oben in Mou-lang ein Haus zur Schweizer-
oder Pförtners-Wohnung zurecht gemacht, weil die dazu bisher
gedienten, 2 kleine Häußer am Fuße des Schloßbergs
bey dem Baue des Lac-Dammes im folgenden Jahre auf die Seite geschaft
werden mußten. [...]
Vom Aprilmonate an wurden
die zum Theil noch unausgebauten Koloniehäußer im Chinesischen
Dorfe, das von jetzt an den Namen Mou-lang erhielt, in Stand gesetzt:
Das bis dahin dem Bau-Inspektor Jußow zur Wohnung eingegebene
Haus (welcher nun auf dem rechten Ekflügel des neuen Stokwerks
auf dem Marstalle sein Logis erhielt), für den Durchlauchtigsten
Fürsten aptirt und mit dem Namen Bagatelle belegt [2]:
das auf dem Felsen neben Bagatelle gestandene Chinesische Häusgen
weggenommen: ein Pferdestall, ein Kühe- und Schaafstall hinterwärts
erbaut [5, 7]: das neben Bagatelle
stehende Pavillon zu einem Fürstlichen Speisesaal [SP] eingerichtet die darneben befindliche
Küche und Milchkammer erneuert, auch noch vier neue Koloniehäuser
längs der Chaußée erbauet [4, 9, 6, H,
10] und auf der Anhöhe die schon
vorhandene Windmühle [W] wiederum
ausgebeßert. [...]
Weil das bisherige Schweizer-
oder Pförtners-Haus auf der Höhe von Mou-lang nicht mehr
chiklich befundn; so ist am 13ten May ein ganz neues unter dem Schloßberge
da, wo die neue Chaußéen in die alte zusammenstoßen,
zu bauen angefangen und solches Ende Septembers fertig geworden
[1].
September [1794].
In diesem Monathe ist ein mit Rasen belegter Weg von Weißenstein
nach Ober-Zwehren und eine neue Chaußee von der Felsenburg
[der im Bau befindlichen und auch im nächsten Jahr schon so
genannten Löwenburg] nach Moulang,
wodurch die bisherige sehr steile Chaußee abgeschnitten worden
ist, gnädigst resolvirt und angefangen worden. In Moulang wurde
ein neuer Schaafstall mit einer Schäfer Wohnung [8] [...] erbaut. [...]
[1795] Das im späten
Herbste des vorigen Jahres zum Behuf eines Schaafstelles und der
Schäfer Wohnung aufgeführte Gebäude ist in diesem
Frühjahr völlig ausgebauet, auch in den anderen Ställen
in Moulang verschiedene Veränderungen gemacht.
[1798] Die Verpachtung
von Mou-lang und dem ehemaligen von Wittorsischen Gute, nunmehr
Mont-cheri genannt, veranlaßte noch verschiedene Einrichtungen
in denen oekonomischen Gebäuden und die Anlegung einer Brandweinsbrennerey
in Mou-lang. [...]
Der bisherige Ausfluß
des Lacs war unmittelbar am Fuße des Schloßberges angelegt,
und bildete einen kleinen aus vielen sich ähnlichen Cascaden
bestehenden Fluß, der sich in einem Teiche oberhalb der Chaußée
an der Schmiedewiese endigte [in dem Gebiet zwischen der
heutigen Straßenbahn-Endhaltestelle der Linie 1 und dem Lac].
Dieses schien weder nach der Lage des Lacs noch nach der Beschaffenheit
des umliegenden terrains natürlich zu seyn. Das feine und richtige
Gefühle Sr. Hoch Fürstl.n Durchl. für alles was die
Schönheit einer Landschaft zu bilden vermögend ist, lies
dies nicht unbemerkt. Höchstdieselben misbilligten diese Anlagen
und verordneten eine Abänderung, mit welcher im Anfange des
Oktobers 1798 angefangen und der Waßer Ausfluß des Lacs
weiter hinunter nach dem Dorf zu verlegt wurde.« [Dies
ist der heute noch so erhaltene von Jussow gestaltete Wasserfall
an der Talseite des Lac, zu bewundern über die Dächer
der parkenden Autos hinweg von der Mulangstraße aus, siehe
unten.]
Auffälliger Bestandteil des Dorfes war die Windmühle,
die als einer der ersten Bauten errichtet wurde und nicht nur der
Zierde diente, sondern tatsächlich in Betrieb war. Sie stand
etwa an der Einmündung der heutigen Löwenburgstraße,
da, wo Ende des 19. Jahrhunderts Wilhelm Ledderhoses »Café
Mulang« stand (siehe »Villenkolonie«). »Sie
wird als sehr klein geschildert, in der es kein Müller lange
aushielt. Sie hatte unter den unregelmäßigen und heftigen
Winden am Osthang des Habichtswaldes zu leiden.«*9
Eine Windmühle war nichts typisch Chinesisches, sie wurde wohl
hauptsächlich errichtet, um den Realismus der Wirkung des Dorf-Ensembles
zu steigern. Man konnte sie andererseits nicht in tatsächlich
zweckmäßiger Größe errichten, ohne daß
sie das Ensemble störend dominiert hätte.
Es gab durchaus einen Zusammenhang zwischen Löwenburg und
Chinesischem Dorf – beide Bauwerke entsprachen
in hohem Maße dem Ideal den englischen Vorstellungen eines
Parks. Casparson schreibt: »Der
Britte Chambers lehrte uns von China aus eine Gartenkunst, die gleichsam
eine grosse, durch Schönheit und Mannigfaltigkeit der Natur
reiche Landschaft ins Reine bringt. Wir nennen sie vielleicht besser
einen englischen Park, weil das Wort Garten zu klein seyn möchte.
Ihre Schönheit macht sie zum Schauplatz lachender, fürchterlicher
und bezaubernder Scenen«.*11
– In Goethes »Triumph der Empfindsamkeit«
findet sich eine sprechende Bezeichnung für die künstlichen
Grotten der englischen Gärten: »chinesisch-gotisch«.
Es zeigt sich in weiteres Mal: »die
Grenzlinien der einzelnen Stile verwischen sich und nur das Romantische
bleibt als wesentlich für den Eindruck bestehen.«*15
Auch Besucher wurden durch Mou-lang geführt, wie Hofrat
Strieder 1796 notiert: »Morgens
½ 9 Uhr kamen S. D. der Herzog von Sachsen-Weimar in Begleitung
[...]. Nach genommener Chocolade fuhren Smus [»Serenissimus«: Wilhelm IX] mit denselben in
einem Wagen durch Moulang nach der Löwenburg, von da zum Octogon
und wiederum beym laufenden Aqaeduc herunter, die springende Fontaine
vorbey, auf dem Fürstenweg hinunter und bey den Treibhäusern,
welche auch besehen wurden, vorbey, wiederum herauf«. –
(Dr. Christian Presche danke ich für folgenden Hinweis: »An versteckter Stelle weist Dittscheid in seinem dicken Wilhelmshöhe-Werk darauf hin, dass die Beschreibung ab 1795 von Jussow selbst fortgeführt wurde, nicht mehr von Strieder: Dittscheid, Wilhelmshöhe, S.24 sowie vor allem S.170 mit Anm. 1060 und 1062.«)
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(Nach oben zum Inhaltsverzeichnis.)
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1820–1900 |
1860: Mou-lang auf einer Karte aus
einem Lexikon oder Reiseführer.*MA
1875: Gut zu sehen die Gesamtanlage von Mou-lang mit dem Intendantenhaus
am Abzweig der Park-Chaussee von der Wilhelmshöher Allee. Das
Pensionshaus steht schon, ebenso die Villa Schmidt (neben »Village«).*MA
1860: Mou-lang im Park Wilhelmshöhe,
Holzstich aus der »Gartenlaube«, Heft 21/22. Hier klicken für den erklärenden Text.*MA
Ansichtskarte von ca. 1905: »Partie in Mou-lang«.
Man blickt die Mulangstraße hinunter, links der vordere, in
der Mitte der hintere Kuhstall, rechts die Kurhausstraße 1.*MA
Ansichtskarte von ca. 1900: Ausflüger auf einer Bank an
der Pagode. Zur Nachkriegsgeschicht der Pagode und dem heutigen Zustand steht
unten mehr.*MA
Ansichtskarte von ca. 1910: »Cassel – Chinesischer
Tempel«.*MA – Hier klicken für eine kolorierte Version, gestempelt 1990.*MA
Ca. 1965: Zweimal die Pagode im Winter.*MA
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Nach dem Aufgeben der
»Oekonomie« in Weißenstein am Ende des 18.
Jahrhunderts und dem Erlöschen der Chinoiserie-Mode führte
das Dorf Mou-lang nur noch ein Rand-Dasein. Von 1826 an wurde die
»Schweizerei« von Montchéri nach Mou-lang verlegt.
(Montchéri, ein Landgut nahe des Neuen Wasserfalls, wurde
1839 abgebrochen; die Gewölbe sind bis heute erhalten, aber
zugeschüttet. Auf dem Kartenausschnitt von 1875, der sich beim
Anklicken der nebenstehenden Abbildung öffnet, sieht man rechts
oben noch das Wort »Mont« von »Mont Chéri«.)
Die »Schweizerin«, die Witwe des Hofgärtners Sennholz,
wurde von dort in die Bagatelle umgesiedelt und betrieb von da aus
Milchwirtschaft, wozu sie auch die umliegenden Mou-lang-Gebäude
als Viehställe, Milchkammern etc. benutzte. Sämtliche
Mou-lang-Häuschen wurden 1826 für 6.000 Reichstaler neu
hergerichtet.
*MA
Aus: »Geographisch-statistisches
Comtoir- und Zeitungs-Lexikon. Nach den neuesten Bestimmungen. [...]
Für Geschäftsmänner, öffentliche Büreaus,
Comtoirs, Kaufleute, Fabrikanten, Manufakturen, Zeitungsleser, Reisende,
überhaupt für gebildete Stände und Jeden, der über
Gegenstände der Geographie schnell belehrt seyn will. Von Dr.
Friedr. Alb. Niemann. Quedlinburg und Leipzig, Verlag von Gottfr.
Basse. 1827.« – Es fällt auf,
daß auch in einem so kurzen Artikel über Wilhelmshöhe
das »chinesische Dorf« erwähnt wird.
Die Häuschen wurden nach dieser Schweizerei-Episode vor allem
von Parkbediensteten bewohnt, etwa von Parkwächtern,
die verwirrenderweise ebenfalls »Schweizer« genannt
wurden. Immerhin zeigen die nebenstehenden Karte von ca. 1860 und
1875, daß Ort und Name »Moulang« noch damals für
wichtig genug gehalten wurden, detailliert dargestellt bzw. auch
auf detailarmen Karten überhaupt erwähnt zu werden. Und
alle Häuschen, die bis dahin überlebt hatten, durften
stehenbleiben. Bis auf das sehr schöne Fasanenwärters-Häuschen,
das im zweiten Weltkrieg einer Bombe zum Opfer fiel (siehe weiter
unten), ging nach 1855 (Abriß des »Speisesaals«
zwischen Milchkammer und Küche) wohl kein Mou-lang-Bau mehr verloren.
Auch der nebenstehend abgebildete Holzstich aus dem
Jahr 1860, der eine nicht eben hochrealistische Ansicht des
Parkes zeigt, verzichtet nicht auf das Dorf Mou-lang: unten sieht
man das »AufsichtersHaus«, oben die Bagatelle und den
Schafstall, alles heute noch erhaltene Bauwerke (1, 2 und 5 auf
der Karte von Maren Brechmacher-Ihnen).
Wenige Jahre danach wurden nahe dem oberen Ende der Mulangstraße
Kuranstalten erbaut (Schmidt, Reichel, beide gingen bald in der Wiederhold’schen Anstalt auf); nahe dem unteren Ende ward 1872/73 das Hotel »Pensionshaus
Wilhelmshöhe« errichtet.
Durch die Gründung der Villenkolonie
Mulang, die Ende des 19. Jahrhunderts rasch wuchs und den seit
1885 zunehmend starken Kurbetrieb, auch durch regen Ausflugsverkehr
zu den zahlreichen Gaststätten und Cafés in der Villenkolonie
rückte das Dorf Mou-lang, damals wie heute ein hochinteressantes
Bindeglied zwischen Wohnbebauung und Landschaftspark,
etwas deutlicher ins Bewußtsein (siehe die Kapitel »Villenkolonie«
und »Kurort Wilhelmshöhe«). Die Pagode diente als Postkartenmotiv;
die »Bagatelle« und andere Häuschen wurden vorübergehend Kaffeewirtschaften.
Der baulichen Zustand der Gebäude im Jahre 1929
stellte sich allerdings wie folgt dar: »Heute
wirken die kleinen Gebäude, soweit sie noch stehen, gar nicht
mehr chinesisch. Nur die Pagode macht eine Ausnahme. [...] Heute verbergen sich die kleinen
Gebäude, die uns erhalten sind, im hohen Waldpark, oder verschmelzen
mit der modernen Villenkolonie dort. Auch die frühere Farbenfreude
haben sie, außer der Pagode, durch weiße Tünche
eingebüßt.«*6
Durch den guten Zustand, in
den die Häuser der chinesischen Kolonie zunächst in den
Nachkriegsjahren, dann wieder in den 80er, 90er und 2010er Jahren versetzt wurden, und durch die guten
gärtnerischen Entscheidungen, die in diesem Parkbereich getroffen
wurden, bestünde die Möglichkeit, mit relativ geringem
Aufwand den Reiz der einmaligen Kostbarkeit »Mou-lang«
wieder erlebbar zu machen.
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(Nach oben zum Inhaltsverzeichnis.)
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Numerierungen: heutige Zählung der Häuser. |
Die Park-Chaussee Mulangstraße heute, die erhaltenen Bauwerke des Dorfes Mou-lang, ihre historischen
Bezeichnungen und Funktionen |
Nr. 1: Die »Aufsichters Wohnung«
2003.*MA
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Am unteren Anfang der Mulangstraße,
wo die Wilhelmshöher Allee abknickt und zur Rasenallee wird,
steht auch heute noch die »Aufsichters Wohnung«, Mulang Nr. 1.
Dr.Christian Presche schreibt mir dazu: »Das kleine gelbe Häuschen rechts wurde erst 1793 als neues ›Schweizer- oder Pförtners-Haus‹ gebaut, vgl. Strieder in: Holtmeyer, Strieder’s Wilhelmshöhe, S. LXIII. Mit dem chinoisen Dörfchen der frühen 1780er steht es nicht in Zusammenhang.« – Dennoch ist das hübsche Häuschen, das von der dahinter aufragenden Habichtswaldklinik ästhetisch arg beeinträchtigt wird, ein schöner Auftakt beim Gang durch das heutige Dorf Mou-lang.
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Auf dem Friedhof befindet sich das Grab Karl Steinhofers
(1747–1829).*MA
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Auf halbem Wege zum Dorf liegt, hinter
einer Straßenbiegung nicht leicht zu finden, der Mou-lang-Friedhof.
Zur Entstehung schreibt Heidelbach: »Unter
Kurfürst Wilhelm I. wurde auch der kleine Friedhof unterhalb
Mulang am südöstlichen Ende des Lac angelegt, und zwar,
wie die auf der Innenseite der Umfassungsmauer angebrachten Inschriften
besagen, 1820. In diesem Jahre wurde der Friedhof offenbar von der
Steinmauer eingefriedigt; die bei der ersten Bestattung erfolgte
Einweihung geschah [...] bereits 1817«*16.
Auf dem Friedhof liegt Karl Steinhofer begraben,
ein für die Gestaltung des Parks überaus bedeutender Landschaftsarchitekt
des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und seinerzeit
eine populäre, originelle Erscheinung, »Wassergott«
genannt.*13
Der »Steinhöfersche Wasserfall« im Park trägt
seinen Namen, auch den »Neuen Wasserfall« hat er geschaffen (siehe die entsprechenden Einträge im Kapitel »Park Wilhelmshöhe«).
1908 wurde ihm auf seinem schon fast vergessenen, unkenntlichen
Grabe ein angemessener Grabstein gesetzt.
Im Mulang-Archiv vorhanden: Einige Akten mit Anträgen zu Bestattungen auf dem Mou-lang-Friedhof, zu Bestattungsgebühren, zu Aufgaben des Totengräbers, zum Baumbestand sowie zeitgenössische amtliche Beschreibungen, alles aus der 2. Hälfte der 1920er Jahre.
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Saalwächters Wohnung.*MA
Nr. 3, ca. 1905. »Kaffeehaus Wagner«.*MA
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»Saalwächters
Wohnung« beherbergte den Aufseher des Speisesaals, der gegenüber
diesem Häuschen, jenseits der Dorfstraße lag. – In Karl Paetows
Beschreibung der Mou-lang-Bauwerke von 1929 steht: »Kuhställe
und Hirtenhaus. Es folgen zwei Kuhställe, von denen der unterste
eine ähnliche Bauart aufweist, wie der Schafstall. Er ist länger
und hat nur eine Tür. Gegenüber liegt eine Hirtenwohnung.
Dieses niedrige Bauwerk steht noch heute und dient als Kaffeewirtschaft.«*6 Paetow meint damit gewiß die Nr. 3.
Daß die Postkarte von ca. 1905 »Saalwächters Wohnung« zeigt, hat Dr. Christian Presche herausgefunden: »Es handelt sich (in der heutigen Zählung) um Mulangstraße 3 (die zeitweilige Saalwächter-Wohnung), bevor das Haus in den 1920er Jahren durchgreifend umgebaut und erweitert wurde. Von diesem früheren Zustand vor dem Umbau sind mir sonst kaum Bilder bekannt«
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Die Bagatelle 2003.*MA
Bagatelle-Entwurf, 1790.*7
Die Bagatelle um 1820 auf einem Stammbuchblatt von Wiederhold (→) in Göttingen.*MA
Bagatelle als Kaffeehaus, 1914 gestempelt.*MA
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Die »Bagatelle«
war Heinrich Christoph Jussows (1754–1825) Wohnung während seiner
Wilhelmshöher Tätigkeiten, bis sie 1791 ihren Namen bekam
und von da an dem Fürsten als Unterkunft diente, wenn er die
künstliche Ländlichkeit miterleben wollte.
Das oberste Foto wurde 2003 vom eigentlichen Dorfplatz
aus aufgenommen, rechts unten sieht man noch den Schatten des »Kuhstalls«,
der Anfang des 20. Jahrhunderts als Schule diente und der heute ein Wohnhaus
ist. Nach rechts geht die Kurhausstraße ab, die von ihrer Anlage
um 1795 bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts »Rasenallee«
hieß und seinerzeit in Dorfnähe nach Plänen tatsächlich
eine geschlossene Rasendecke aufwies und im weiteren Verlauf einen
Rasen-Mittelstreifen.
Der Entwurf zur Bagatelle von 1790 zeigt die Proportionen
des später gebauten Hauses. Freilich wurde statt der halbrunden
Fenster und des halbrunden Giebels des Entwurfs ein »Pagodengiebel« gewählt
und eine auch sonst einfachere Bauart.
Das Bild der Jussow-Zeit, von Westen her gezeichnet, zeigt
die Bagatelle inmitten einer anmutigen Parklandschaft, das Ideal eines
Einklangs von Mensch und Natur. Der Bau im Hintergrund dürfte
sich der Phantasie des Zeichners verdanken. Vielleicht diente die
Moschee zur Anregung.
Die Postkarte ganz unten, entstanden etwa um 1910,
zeigt die Bagatelle mit Kaffee-Ausschank. Damals lag
der Eingang noch auf der Parkseite des Gebäudes.
Auch der geschwungene Giebel ist heute begradigt.
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Vorderer Kuhstall.*MA
Hinterer Kuhstall.*MA
Gartenidylle.*MA
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Der Dorfplatz von Mou-lang.
Der vordere Kuhstall, 2018–20 aufwendig saniert (auf dem Brechmacher-Ihnen-Plan und in der Mulangstraße
die Nr. 5) und das dahinterliegende Gebäude (Nr. 7), das ebenfalls
als Kuhstall diente, waren die beiden einzigen zweistöckigen
Häuser im bescheiden-niedlichen »Chinesischen Dorf«
Mou-lang.
Die Nr. 7, der schräg hinter der Nr. 5 gelegene
Kuhstall, ist im Jahre 2002 nach Befall durch Hausschwamm sehr schön
wiederhergestellt worden.
Das Bild darunter zeigt die Gärten der Häuser
5 und 7. Ein Stück klassizistisches Dorf-Idyll, gelegen
zwischen Gründerzeit-Villenkolonie und Englischem Landschaftsgarten.
Dieser dörfliche Charakter sollte endlich für das ganze Dorf
Mou-lang und die Parkchaussee Mulangstraße, von der »Aufsichters Wohnung«
an, wiederhergestellt werden.
Der Dorfplatz auf einem Lageplan von ca. 1810. Nach links unten führt die Rasenallee, die heutige Kurhausstraße. Bei der Einmündung in den Dorfplatz ist sie von zwei torhausartigen Häuschen flankiert; das untere ist die Nr. 3, »Saalwächters Wohnung«. Das quadratische Haus rechts davon ist die »Bagatelle«. darüber der gläserne »SpeiseSaal«, flankiert von »MilchKammer« und »Küche«. (→) *22
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2003: Blick von der Mulangstraße auf Milchkammer und
Schloß.*MA
Die Küche (2003).*MA
Die Küche (1913).*MA
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Vom einstigen Ensemble »MilchKammer« – »Speise Saal« – »Küche«
sind nur noch die beiden flankierenden quadratischen Gebäude
erhalten, nicht mehr der Speisesaal. Dieser war 1791 im Auftrag
Wilhelms IX erbaut worden.
Küche und Milchkammer hatten fließendes »gutes
Wasser«. Die Küche wird, fensterlos und kühl, eher
als Anrichte verwendet worden sein. Gut erkennt man die ebene Fläche
zwischen den beiden kleinen Gebäuden, auf denen der Speisesaal
gestanden hat.
In Milchkammer und Küche sind Reste alter
Bemalung vorhanden, in der Milchkammer hübsche Marmorierungen.
Beide Gebäude werden
derzeit nicht genutzt, das Innere ist nicht zu besichtigen. Das schwarzweiße Bild unten zeigt die Küche
im Jahr 1913. Man sieht, wie verwildert
dieser Teil des Parks war.
Noch bis in die 90er Jahre hinein wurden in der ehemaligen
»Küche« Verstorbene aufgebahrt, die auf dem Mou-lang-Friedhof
zu Grabe getragen wurden. Daher hat sie im Volksmund die Bezeichnung
»Leichenhaus« erhalten. Eine solche Funktion
hatte sie zu Zeiten der »Weissensteiner Oekonomie« aber
nicht gehabt
Milchhäuschen-Benefizfest 1905.*MA
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Links: Pagoden-Zeichnung bei Over. Rechts: Entwurf
zur Mou-lang-Pagode.*20
Vor 1900: Innenansicht der Pagode, wohl noch weitgehend im
Erstzustand.*27
30er Jahre, nach der Renovierung.*27
Der Buddha.*27
Ein »Chinese«.*27
Die Pagode, ca. 1957. Bei der Wiederherstellung wurden Bemalungen
erhalten.
Die Pagode 1965.*MA
Die Pagode auf einer Mehrbildkarte von ca. 1975. Noch sind
die Säulen mit den gewundenen Ornamenten versehen.*MA
Die Pagode (2003).*MA
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Unweit der Mulangstraße steht die
Pagode, das bekannteste Bauwerk von Mou-lang. Sie entstammt
einem Musterbuch des Engländers Charles Over: »Ornamental
architecture in the Gothic, Chinese and modern Taste [...]«.
Das erste Bild zeigt eine Pagoden-Musterzeichnung bei Over und die
Entwurfszeichnung für die Mou-lang-Pagode: es ist klar, daß
dies die direkter Vorlage gewesen war. Dem
Bildhauder Heyd wurde die innere und äußere Ausgestaltung
übertragen; die beiden Drachen, die sich rechts und links an
der Tür erhalten haben, sollen von ihm stammen, ebenso die
Figuren im Inneren.
Die Pagode hatte nie eine praktische Funktion und wurde auch nach
Scheitern der fürstlichen Mulang-ökonomie nicht mit zur
Pacht angeboten, sondern diente, wie auch die »Moschee«,
erst als exotische Dorfkirche und später nur mehr als reizvoller
Blickpunkt. Paetow schreibt: »Das
zierliche Bauwerk soll eine ostasiatische Kapelle darstellen, die
Kirche, den geistigen Mittelpunkt des Dorfes«.*6
Im Zeitalter der Aufklärung, als Moschee und Pagode entstanden,
gab es die idealistische Vorstellung einer Einheit der Religionen,
so daß kaum ein Christ Anstoß an einer buddhistischen
oder muslimischen Gebetsstätte nahm (eine Aufgeklärtheit,
an der sich diejenigen, die partout eine Moschee im Kassel des 21.
Jahrhunderts verhindern wollten, ein edles Beispiel nehmen könnten).
Von ihrer Erbauung, also etwa 1775, bis 1930 wurde die Inneneinrichtung
der Pagode kaum verändert. Sie bestand aus einem Dickbauch-Buddha,
der in einer Nische unter einem Baldachin saß. In zwei weiteren
Nischen standen rechts und links zwei weitere Figuren. Vor dem Buddha
stand ein Tischchen, Wände und Decke waren mit Ornamenten reich
bemalt. Im unteren Teil des Raumes gab es eine Trompe-l’œuil-Bibliothek,
die womöglich aus dreidimensionale »Buchrücken«
zeigte.
In den 30er Jahren wurde die Pagode renoviert und dabei die
ursprünglichen Malereien stark verändert oder ganz übermalt.
Mit erstaunlich geschickter Hand wurde ein reicherer Zierat angebracht,
unter anderem zwei chinesische Inschriften rechts und links des
Dickbauch-Buddhas: »Mit
offenem Mund kann man lachen, lachen über die lächerlichen
Menschen unterm Himmel. / Mit dickem Bauch kann man ertragen, ertragen
was man in der Menschen Welt sonst schwer erträgt.«*26
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Pagode aufgebrochen
und die Inneneinrichtung zerstört oder gestohlen; Reste der
Skulpturen liegen heute noch verstümmelt im Inneren des Gebäudes.
Die heiter-gelassene Inschrift steht etwas gespenstisch über
dem traurigen Anblick. Bis heute wurden keine Schritte unternommen,
etwas an diesem Zustand zu ändern.
In der Mitte der 50er Jahre wurde das äußere nach
einer kurz zuvor aufgefundenen Zeichnung wiederhergestellt.*14
Auch die Spitze der Pagode wurde wieder mit Glöckchen und dem
»türkischen« Halbmond geschmückt (vgl. das
Bild von ca. 1900 weiter oben). – Christian Presche ist folgender Hinweis zu verdanken: »Ist das sicher? Denn ich meine, auf den älteren Ansichten nur den Schirm erkennen zu können, und bereits diese viel ältere Zeichnung (→) zeigt nur den Schirm. Dementsprechend geht Ulrike Hanschke in der Erläuterung der Zeichnung auch von einem Irrtum der 1950er Jahre aus.«
Das Privatfoto von 1965 (aus einer Antiquariats-Fotokiste;
rückseitig beschriftet: »Vor
dem chin. Tempelchen auf dem Heimweg zur Haltestelle 6 im Park Wilhelmshöhe
im Sommer 65«) zeigt ein anderes
Bild. Die Pagode war offenbar kurz zuvor im heutigen hellen Gelb
recht unbarmherzig angestrichen worden. Auch die Säulen
sind teilweise ihrer gewundenen Zierbemalung beraubt, teils wirkt
diese viel gröber als auf dem Foto von 1957.
Die Postkarte von ca. 1975 zeigt die Pagodensäulen mit
blauen Spiral-Ornamenten an den Säulen und Resten von Bemalung
auf dem Gebäude selbst. Ob das Foto viel älter ist? oder
ob nach 1965 die Bemalung noch einmal wiederhergestellt worden war?
Warum und wann genau daß äußere der Pagode in den
heutigen keineswegs originalen und sehr lieblos wirkenden Zustand
versetzt wurde, war bisher nicht herauszubekommen. Die Wiederherstellung
der Pagode, des äußeren wie auch des Inneren, steht dringend
an.
10.09.2021: Die Pagode ist außen instandgesetzt, heute berichtet die HNA von der Wiederherstellung des Inneren samt Buddha. Hier klicken (→) für den Artikel.
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Haus Nr. 9 (2003).*MA
Haus Nr. 9 (1913).*7
Haus Nr. 4 (2003).*MA
Haus Nr. 6 (2003).*MA
Haus Nr. 6 (1913).*7
Blick vom Haus Nr. 6 nach oben zum Fröbelseminar (2003).*MA
»Schaafstall und Schäfer Wohnung«, Nr. 8.*MA
Nr. 8 (rechts) und Nr. 10, noch ohne das angebaute Wohnhaus
(links), um 1910.*19
Haus Nr. 10 (2003).*MA
Haus Nr. 10 im Jahre 1913, noch ohne Anbau.*7
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Kleine Häuser an
der Chaussee, wie sie den Arbeitern der Weißensteiner Oekonomie
zur Wohung dienten:
Zuerst ein besonders kleines Häuschen (Nr. 9),
das über ein Nebengebäude verfügt. Hinter der Hecke
stand bis 1944 das beliebte »Café Mulang«, zu Dorfzeiten
stand dort die Windmühle. Vielleicht diente das abgebildete Haus
dem Windmüller zur Wohnung. Die schwarzweiße Abbildung
darunter zeigt das gleiche Haus, wie auch die anderen beiden schwarzweißen
Bilder kleiner Mou-lang-Häuschen in »W. Strieder’s
Wilhelmshöhe«*7
abgebildet.
Das Haus Nr. 4 liegt angenehm zurückgesetzt von
der Straße und gleicht im Wesentlichen der Nr. 6. (Eine Inneneinrichtung
oder -bemalung hat sich in keinem dieser »kleinen Häuser
an der Chaussee« erhalten.) Auch die Nr. 8, der »Schaafstall
mit Schäfer Wohnung«, bietet noch ein erfreulich ländliches
Bild, durch den einfachen Feldweg, der zu dem Haus führt und
durch die zurückgesetzte Lage.
Das Haus Nr. 10 hat in den 10er oder 20er Jahren
des 20. Jahrhunderts einen eigentlich sehr gelungenen Anbau bekommen,
der zum Dorf Mou-lang natürlich nicht recht paßt, aber längst
zur Parkgeschichte gehört.
Frage an Kenner: »Erhalten
hat sich der sogenannte Chinese. Es ist dies ein plumpes Bildwerk,
offenbar aus der Werkstatt Nahls, das nicht ohne Qualität ist.
Es steht etwa 400m unterhalb Mulangs im heutigen Garten Stolzenbach
und ist von einem Kranz von Bäumen umgeben.«
So schreibt Paetow 1929. Ist jemandem bekannt, um welches Bildwerk
es sich handelt und ob es sich bis heute erhalten hat?
Kaum sind 18 Jahre vergangen, schon schreibt Nachbarin Annette Obermüller in dieser Sache: »Du fragst dort am Ende
nach dem sogenannten Chinesen aus dem Garten Stolzenbach. Da hat mich
die Recherchierlust gepackt, sehr weit bin ich nicht gekommen, aber
vielleicht ist es von Interesse:
Christian und Ernestine Stolzenbach waren Besitzer der Molkerei
Wilhelmshöhe, besaßen offensichtlich einige Häuser in Kassel, u.a.
Wilhelmshöher Allee 318, 321, 323. Diese Standorte würden vielleicht zu ›400m unterhalb von Mulang‹ passen. Nr. 321/323 ist heute der hässliche
Neue Heimat Wohnblock, da dürfte es keine Spuren eines Chinesen mehr
geben, 318 ist heute das Installateur-Geschäft Gruhn, da gibt es noch
etwas Restgartenfläche hinter dem Haus lt. googlemaps ...? Wo genau die Molkerei Wilhelmshöhe lag, weiß ich nicht. 321/323 ist ja
sehr nah bei der Domäne, ob sie damit etwas zu tun hatte? Alle anderen Infos sind aus dem Adressbuch Kassel von 1929.«
Nr. 10: »Hotel und Pension von Eschstruth, Mulang Nr. 13, 6 Betten«,
zu finden in Reiseführern der 30er Jahre: Das ist das heutige westlichste und somit oberste Mulang-Häuschen (von 1790) mit sehr gelungenem Anbau.
Dr. Christian Presche schreibt mir zu diesem Haus:
»Diese Woche habe ich durch Zufall (bei Recherchen für einen Aufsatz) auch noch dieses hier (→) gefunden, sogar mit Photographie.
Hummel hatte zusammen mit Ernst Rothe die Stadthalle gebaut, außerdem die auf den vorhergehenden Seiten beschriebenen Siedlungsanlagen und die kleine Siedlungsanlage Mombachstraße / Heckershäuser Straße, zuvor schon Teile von Salzmannshausen, und auch der Entwurf für die Friedhofsverwaltung samt Trauerhalle (diese später allerdings verändert) an der Karolinenstraße stammt von Hummel (→).
Wie weit beim Bau des Hauses Mulangstraße 13 (heute 10) noch Änderungen des Entwurfs (Sept. 1921, wenn ich es richtig lese) vorgenommen wurden, ist schwer zu sagen – die Bauaufnahme von 1937 im Stadtarchiv weicht in einigen Punkten im Grundriss ab, und die Fensterläden wurden auch etwas anders ausgeführt, als im Entwurf 1921 dargestellt (vgl. die Photographie – demnach sind sie am Altbau in der historischen Form geblieben, mit kleinen runden Öffnungen statt der Lamellen, was auch am OG des Neubaus übernommen wurde).
Und noch etwas ist bemerkenswert: Helene von Eschstruth scheint tatsächlich die Bauherrin gewesen zu sein – dafür spricht jedenfalls die Beschriftung des Entwurfs, und in den Adressbüchern ist sie spätestens ab 1932/33 als Besitzerin des Hauses nachweisbar (Adressbuch für 1933). Sie hatte zunächst ihren Hauptwohnsitz in Kassel gehabt und das Häuschen in Mulang nur im Sommer genutzt (vgl. Adressbücher bis 1920/21 einschließlich, Stand: April 1920; aber zuletzt für 1916 mit eigener Kasseler Adresse erfasst), im April 1921 (Adressbuch für 1921/22) und in den Folgejahren wird sie jedoch dauerhaft im Haus an der Mulangstraße geführt. Wann und wie sie es erworben hat, ist mir noch völlig unklar. Auch zu der von ihr betriebenen Pension gibt es eine Akte von 1934/35 (StadtA KS, Best. A.3.32 Nr. 1674). Nach der Zerstörung scheint zumindest der Altbau provisorisch hergerichtet gewesen zu sein und wurde vermietet, aber erst das Adressbuch für 1954 verzeichnet das Gebäude als Landesbesitz, und 1955/56 erfolgte dann der Neubau.«
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(Nach oben zum Inhaltsverzeichnis.)
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Die Fasanerie |
2003 aufgenommen. In der Bildmitte stand links das Fasanenwärter-Häuschen.*MA
Postkarte von ca. 1920..*MA
Fasanerie, Winter 1910.*4
Ca. 1910.*4
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Wenn man
weiter auf der Parkchaussee in Richtung Löwenburg geht,
verläßt man den mit dem Auto befahrbaren Teil der Chaussee.
Das zur Fasanerie gehörende Wohnhaus, das an einem Seitenweg
zur rechten Hand lag, gehörte nach strenger Auffassung nicht
mehr zum »Chinesischen Dorf«: Es ist etwas später entstanden
(siehe oben die entsprechenden Passagen aus »W.Strieder’s
Wilhelmshöhe«), es liegt recht weit entfernt vom Dorf und
ist vor allem nicht Bestandteil des (ländlichen) Dorf-Konzepts,
sondern diente zur Züchtung von (höfischen) Zier-»Phasanen«.
Nach einem Bombentreffer im zweiten Weltkrieg ist das einst sehr schöne
und wunderbar gelegene Gebäude leider nur noch als Ruine mühsam
zu erkennen. Die Postkarte und die zwei Schwarzweiß-Fotos zeigen
das Fasanenwärterhaus: einmal im Winter hangab, also von Süden
her aufgenommen und einmal hangauf im Sommer; beide Photographien
stammen etwa von 1910. Auf dem Winterbild von 1910, das aus der gleichen
Perspektive aufgenommen wurde wie das Bild von 2003 darüber,
erahnt man unten im Tal die zur Fasanerie gehörigen Wirtschaftsgebäude.
Die Perspektive ist diejenige von der Höhe des bekannten »Wunschtörchens«,
dem Rest eines Torbogens, der einst den Weg von Mou-lang zur Löwenburg
überspannte. Der große Torbogen ist verschwunden, das niedrige
Seitentörchen hat seinen Bogen behalten. Wer es durchschreitet,
so die örtliche überlieferung, und sich etwas wünscht,
dem wird der Wunsch erfüllt – wenn es etwas Vernünftiges
ist. Zu zahlreichen Durchschreitungen wird aufgefordert, der gemeinsame
Wunsch: die Zurückgewinnung der Mou-lang-Parkchaussee und des
Dorfes Mou-lang für das UNESCO-Welterbe Park Wilhelmshöhe.
Hier klicken für den Eintrag »Fasanerie« im Kapitel »Villenkolonie Mulang«.
Das »Wunschtörchen« oberhalb von Mou-lang.
Postkarte von ca. 1910.*MA
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(Nach oben zum Inhaltsverzeichnis.)
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Dank und Nachweise |
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Dank an
Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung
Maren Brechmacher-Ihnen
Prof.Hardy Fischer
Siegfried Hoß
Margot Lutze
Dr.Christian Presche
Nachweise
*MA Mulang-Archiv, Privatarchiv des Autors und Betreibers dieser Website, Friedrich Forssman, und seiner Frau Cornelia Feyll
*1 H. Brunner, Wilhelmstal. Alois Holtmeyer (Hg.): Alt Hessen,
viertes Heft. Marburg ca. 1919.
*2 Ulrich Schmidt (Hg.): Der Schloßpark Wilhelmshöhe
in Ansichten der Romantik, Kassel 1993
*3 HNA-Blick zurück 456
*4 Archiv Familie Greger
*5 Wolfram Schäfer: »Von ›Kammermohren‹, ›Mohren‹-Tambouren
und ›Ost-Indianern‹«, in: Hessische Blätter für
Volks- und Kulturforschung, Band 23, »Fremdsein«
*6 Karl Paetow: Klassizismus und Romantik auf Wilhelmshöhe,
Kassel 1929
*7 Alois Holtmeyer (Hg.): W.Strieder’s Wilhelmshöhe,
Marburg 1913
*9 Hans-Dieter Scholz: Wasser- und Windmühlen der Stadt Kassel,
Veröffentlichung für den »Dienstgebrauch« des Regierungspräsidiums
Kassel, 1997
*10 HNA-»Blick zurück« Nr. 1317
*11 Johann Wilhelm C.G. Carsparson über die Löwenburg,
zitiert aus Hans-Christoph Dittscheid: Kassel-Wilhelmshöhe und die
Krise des Schloßbaues am Ende des Ancien Régime, Worms 1987
*12 HNA-Blick zurück 606: Horst Hamecher legt Arbeit von Philipp
Losch zum »Soldatenhandel« neu auf.
*13 HNA-Blick zurück 50
*14 Gottfried Ganßauge: Der Chinesentempel im Wilhelmshöher
Park. In: Hessische Heimat, 7. Jg. 1957/58 / Heft 6. Von Ganßauge
auch das Pagodenfoto von ca. 1957.
*15 Friedrich Andreae: China und das achtzehnte Jahrhundert. In:
Grundrisse und Bausteine zur Staats- und Geschichtslehre, Berlin 1908.
Nachdruck 1996: Keip GmbH.
*16 Paul Heidelbach: Die Geschichte der Wilhelmshöhe, Leipzig
1909
*17 P.G. Hübner: Wilhelmshöhe, Berlin 1927
*18 Maren Brechmacher-Ihnen, Siegfried und Manueal Hoß: »Chinoise« Szenerien im Park, in: (k) KulturMagazin Nr. 92, Kassel, Juli/August 2003
*19 Stadtmuseum Kassel
*20 Nigel Temple: Das chinesische Dorf der Landgrafen von Hessen
im Park von Wilhelmshöhe, deutsch von Margot Lutze, in: Porzellan
aus China und Japan, Kassel 1990. (im Landesmuseum Kassel gibt es dieses
Buch für 10 Euro, für Mou-lang-Liebhaber unverzichtbar!)
*22 Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung (bzw. Objektdatenbank) – beim Klicken auf die kleinen Verweisziffern an den Bildern (»*22«) öffnet sich jeweils ein Link auf die Seite der mhk mit dem Original-Digitalisat.
*23 Isabell M. Steinhauer: Dorf Mulang im Schlosspark Wilhelmshöhe,
Edition der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten
Hessen, Regensburg 2003
*25 A. Kausch, China, Köln 2002
*26 Mitteilung durch Yannick Philipp Schwarz, Kassel
*27 Bildherkunft unklar. Wenn Rechte betroffen sind, bittet der
Autor um Mitteilung.
*28 www.kasselwiki.de (→)
*29 Alois Holtmeyer: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel
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